Wow, ich glaube, so zeitig war ich noch nie mit meinem Gelesen-Beitrag hier auf dem Blog, direkt am ersten des neuen Monats. Zwei Bücher waren es im August, wobei eines ein „Wiederholungstäter“ war (und das zweite eigentlich kaum Buch zu nennen ist). Aber Lieblingsbücher kann ich tatsächlich nicht oft genug lesen.
Rebecca Gablé: Der König der purpurnen Stadt
Bastei Lübbe
Wer meinen Blog schon länger verfolgt, horcht bei dem Namen Rebecca Gablé vielleicht auf. Ihre Bücher sind hier schon öfter in Erscheinung getreten und nicht nur im Rahmen meiner Gelesen-Buchvorstellungen. Wenn ich eine Lieblingsautorin benennen müsste, dann wäre es wohl Rebecca Gablé. Obwohl ich mittlerweile historische Romane nicht mehr unbedingt zu meinen Nonplusultra-Büchern zählen würde: Ihre Romane sind es definitiv immer. Die Waringham-Reihe hat mich gnadenlos infiziert und mein Interesse für das englische Mittelalter und darüber hinaus mehr als geweckt. „Der König der purpurnen Stadt“ gehört nicht in diese Reihe, sondern steht als Roman für sich alleine – wobei die ein oder andere historische und auch fiktive Person, die wir aus „Das Lächeln der Fortuna“ kennen, auch hier vorkommt.
Dieser Roman spielt zeitlich betrachtet vor den Waringhams, allerdings nur einige Jahre. Die Handlung beginnt im Jahr 1330 – dem Jahr, als Edward Plantagenet seiner Mutter und seinem Stiefvater die Herrschaft über England entreißt und seine persönliche Regentschaft als König Edward III antritt. Edward, seine Königin Philippa von Hainault und ihre stetig wachsende Kinderschar sind immer wiederkehrende Personen, doch die Hauptfigur ist, wie üblich, eine fiktive. Der Roman begleitet Jonah Durham, der nach dem Tod seiner Mutter als Lehrling in dem Tuchladen seines Cousins Robert lebt. Weiter reicht Roberts Mildtätigkeit aber auch nicht – von familiärer Atmosphäre zwischen Jonah und Robert und dessen Frau Elizabeth kann keine Rede sein. Ihre gemeinsame Großmutter erkennt, dass Jonah bereits als Lehrling ein besserer Kaufmann ist, als Robert je sein wird, und hinterlässt ihm nach ihrem Tod ein Haus und ein nicht unbedeutendes Vermögen, mit dem Jonah seine Lehrzeit vorzeitig beenden, sich den Eintritt in die Tuchhändlergilde als jüngstes Mitglied aller Zeiten verschaffen und ein eigenen Handel aufbauen kann.
Mit seinem letzten Schlag gegen Jonah, bevor dieser sein Haus verlässt, legt Robert den Grundstein für Jonahs erfolgreiches Kaufmannsleben: Auf einem Botenritt für seinen Cousin wird Jonah überfallen und ausgerechnet von König Edward und dessen Jagdgesellschaft gerettet und aufgelesen. Er macht die Bekanntschaft von Königin Philippa und König Edwards Rittern Gervais of Waringham und Geoffrey Dermond (und hier ist die Verbindung zur Waringham-Reihe) und seine engen Kontakte und Beziehungen zum königlichen Hof sorgen zwar nicht für ein einfaches und problemloses, aber letzten Endes für ein sehr auskömmliches Leben für Jonah.
Später wird er zum Ritter der Königin, heiratet eine ihrer Hofdamen und Tochter des mächtigsten und gefährlichsten Kaufmanns in England, William de la Pole, wird jüngster Alderman und später sogar Mayor von London und bei alldem ziemlich steinreich. Er revolutioniert quasi nebenbei Tuchhandel und -produktion, indem er Flamen, die besten Walker, Weber und Färber, nach England holt, anstatt die englische Rohwolle auf dem Kontinent zu Tuch verarbeiten zu lassen. Er ist kein ganz einfacher Mensch und andere Figuren von Gablé haben sicher ein sonnigeres Gemüt. Aber er ist ehrlich und loyal, seinen Freunden und seiner Familie, seinen später zahlreichen Lehrlingen und Kompagnons und Geschäftspartnern (darunter sein ehemaliger Mit-Lehrling im Haus von Rupert Hillock, Crispin, den er einige Zeit nach seinem eigenen Auszug als Lehrling zu sich holt und der später in sein Geschäft mit einsteigt) gegenüber.
Jonah bewegt sich als Vermittler zwischen zwei Welten: Der des königlichen Hofes und der von London, die als selbstverwaltete Stadt nicht immer mit den Wünschen und Plänen des Königs konform geht und stattdessen von den Kaufleuten der Stadt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geleitet wird. Auch seine Kinder lernen beide Welten kennen – nicht immer zu Jonahs Gefallen: Er findet sich nur schwer damit ab, dass sein ältester Sohn Lucas den Schwarzen Prinzen quasi vergöttert und lieber Ritter statt Kaufmann werden möchte. Wenigstens der zweite Sohn Philip hat ein Gespür für und Interesse an Wolle und Tuchen und wird wohl in seine Fußstapfen treten.
„Der König der purpurnen Stadt“ ist für mich vor allem deshalb so besonders interessant, weil er eben, anders als die Romane über die Waringhams, nicht in erster Linie in der adligen und königlichen Gesellschaft spielt. Es ist unglaublich spannend, in diesem Roman von der Organisation und Verwaltung der Stadt London zu erfahren, die schon im Mittelalter stellenweise sehr modern anmutet. An manchen Punkten geht es einigermaßen tief in das Handelswesen hinein, aber alles ist immer verständlich und nachvollziehbar erklärt. London, die purpurne Stadt, aus der Perspektive eines Tuchhändlers, ist ein fesselnder Ort und bietet eine völlig andere Sichtweise auf das englische Mittelalter und das Königshaus. Und nicht zuletzt ist es spannend, von den jungen Gervais und Geoffrey zu erfahren, vom jungen Edward III zu lesen, vom Schwarzen Prinzen und John of Lancaster, von dem an anderer Stelle so ausführlich erzählt wird, als Kinder zu erfahren. Und auch an anderen Stellen treffen sich „Der König der purpurnen Stadt“ und die Waringham-Romane: Der Name Durham ist auch in der Waringham-Reihe kein unbekannter und spielt, genauso wie der König der Diebe, vor allem in den späteren Bänden eine prominente Rolle. Faszinierend, wie alle Puzzleteile und alle Stücke sich zusammenfügen.
Bertolt Brecht: Mutter Courage und ihre Kinder
Suhrkamp Verlag
Kann man das überhaupt als Buch bezeichnen, dieses 108-Seiten-Heftchen? „Gerettet“ habe ich auch dieses aus dem Stapel von Deutsch-Lektüren, die mein Bruder entsorgen wollte. Nicht, dass mir der Titel bekannt gewesen wäre, ich Brecht bereits gelesen hätte oder liebend gerne Theaterstücke lese. Es war eher so eine Mischung aus Pflichtgefühl und Disziplin, die in mir manchmal aufkommt bei den verschiedensten Dingen, nach dem Motto „So einen Klassiker sollte man ja eigentlich schon einmal gelesen haben“. Und so schaffte das Heftchen den Weg in mein Regal und war, in meinem Bestreben alle ungelesenen Bücher „abzuarbeiten“, nun an der Reihe.
Gelesen habe ich es mehr oder weniger auf einer Zugfahrt nach Hause – na gut, einige Seiten hatte ich schon vorher mal an einem Abend gelesen. Ja, die Sprache ist ungewohnt, aber die Sprache ist tatsächlich bei solchen älteren Werken noch das, was mich am meisten fasziniert: Wie dieselbe Sprache, die wir heute sprechen, so anders klingen kann, wie Wörter anders verwendet werden, wie Satzstrukturen sich verändert haben in den letzten – in diesem Fall nicht einmal hundert – Jahren. Befremdlicher finde ich da oft eher den Inhalt, wobei in diesem Fall zumindest die Intention schon im Klappentext klargemacht wurde.
Das Stück spielt im Dreißigjährigen Krieg. Schnell wird klar, dass sich hierbei mit dem Kapitalismus auseinander gesetzt werden soll. Mutter Courage ist eine Marketenderin, also eine Art fliegende Händlerin, die mit den Truppen mit- bzw. ihnen hinterher reist und mit allem handelt, womit sich gerade Geld machen lässt. Sie verdient ihr Brot also mit dem Krieg. Ihre drei Kinder, Eilig, Schweizerkas und Kattrin, die stumm ist, seit sie von Soldaten vergewaltigt worden ist, reisen mit ihr, die Söhne werden jedoch trotz des Protests der Mutter zum Kriegsdienst beordert.
Natürlich kommt, was zu erwarten war: Alle drei Kinder sterben, im Krieg, nicht in einem Gefecht oder im Kampf, sondern hingerichtet aufgrund von vermeintlichen Vergehen. Die Mutter zieht am Ende allein mit ihrem Karren dem Heer hinterher und singt noch immer das Lied des Krieges. Ihre Meinung und Haltung ist widersprüchlich bzw. häufig wechselnd: Ist Krieg, wünscht sie sich Frieden. Als jedoch für eine kurze Zeit vermeintlich Frieden herrscht, wünscht sie sich den Krieg zurück, da sie gerade neue Waren eingekauft hat. Sie hat ihr Auskommen mit dem Krieg, verliert aber ihre Kinder an diesen.
Brecht selbst schrieb über dieses Stück: „Was eine Aufführung von Mutter Courage hauptsächlich zeigen soll: Dass die großen Geschäfte in den Kriegen nicht von den kleinen Leuten gemacht werden. Dass der Krieg, der eine Fortführung der Geschäfte mit anderen Mitteln ist, die menschlichen Tugenden tödlich macht, auch für ihre Besitzer. Dass er darum bekämpft werden muss.“ Die Personen im Stück, allen voran Mutter Courage, erkennen dies nicht. Sie macht Geschäfte mit und durch dem Krieg. Durch ihr Schicksal, den Tod ihrer Kinder, soll klar werden, wie abscheulich der Krieg ist, dass an ihm nichts positives ist, dass keiner sich am Krieg bereichern kann und soll.
Soweit. Ich war noch nie jemand, der Spaß am Analysieren von Texten hat. Für mich muss eine Geschichte wirken, ohne dass ich mir tiefgründige Gedanken über sie machen muss. Sicherlich bietet „Mutter Courage“ unheimlich viele Punkte, über die man weiter nachdenken kann, die einem vielleicht auch überraschende Erkenntnisse offerieren. Aber auch bei einer einfachen, geradezu flüchtigen Lektüre wird immerhin deutlich, was Brecht mit diesem Text sagen wollte. Das ist vermutlich die Hauptsache.