Im letzten Jahr fiel Weihnachten auf einen Samstag – die Adventszeit war damit so lang, wie nur irgend möglich, nämlich fast fünf Wochen. Daraus folgt ganz logisch dann auch, dass in diesem Jahr Weihnachten und der vierte Advent auf denselben Sonntag fallen. Morgens Advent, abends Heilig Abend. Die Adventszeit ist damit also kurz. Oder?
In diesem Jahr ist es mir ganz besonders aufgefallen, dass die Adventszeit für viele Menschen deutlich früher zu beginnen schien als für mich. Schon lange vor dem Totensonntag war überall Advents- und Weihnachtsdeko zu sehen, im realen wie im virtuellen (Instagram-)Leben, Plätzchen wurden gebacken, Weihnachtsmusik gehört. Am Totensonntag selbst las ich – nicht nur einmal, sondern mehrfach, weshalb es sich wohl so nachdrücklich bei mir festgesetzt hat, dass dieser Beitrag nach einigem Überlegen jetzt doch geschrieben werden musste – dass mit den Kerzen und dem Adventskranz, den Plätzchen undsoweiter sich dieser Sonntag doch schon fast anfühlen würde wie der erste Advent.
Huch. Irgendwie kam das bei mir komisch an. Irgendwie hat mich das beschäftigt, immer mal wieder, und mich nicht mehr losgelassen. ‚Advent ist im Dezember‚, so lautet eine Kampagne der Evangelischen Kirche Deutschland, und das klang plötzlich in meinem Kopf. ‚Alles hat seine Zeit‘.
Ich würde mich keinesfalls als streng religiös bezeichnen. So ganz definieren und in Worte fassen, ob und wie und an was ich glaube, kann ich das irgendwie nicht. Der Kirche verbunden, das bin ich auf jeden Fall. Aufgewachsen in einem schon irgendwie christlich-evangelischen Haushalt, wo Gottesdienstbesuche und Engagement in der Kirchengemeinde genauso selbstverständlich dazugehörten, wie Gebete vor dem Essen und Schlafen und das Feiern von christlichen Festen. Und wenn ich an die Adventszeit in meiner Kindheit zurückdenke, dann erinnere ich mich an viele schöne Nachmittage; Geschichten, Plätzchen und Kakao, brennende Kerzen, Weihnachts- und Geschenkbastelei und Dekorieren des Hauses. Aber alles in der Adventszeit. Der Toten- oder Ewigkeitssonntag wurde immer abgewartet, oft gingen wir auch in den Gottesdienst, und in der Woche danach und häufig am Samstag vor dem ersten Advent begannen dann die Vorbereitungen.
Der Ewigkeitssonntag ist in der evangelischen Kirche der Gedenktag für die im vergangenen Kirchenjahr Verstorbenen. Er ist der letzte Sonntag des Kirchenjahres: Mit dem Advent („Ankunft„) beginnt ein neues Kirchenjahr; die Vorbereitung auf Weihnachten, das Warten auf die Ankunft von Jesus Christus ist der Anfang von etwas Neuem. Und für etwas Neues braucht es eben immer auch etwas Altes. Für einen neuen Anfang einen Abschied. Deswegen empfinde ich den Ewigkeitssonntag als so logisch und als so wichtig. Der Tod ist ein Teil des Lebens, er gehört zum Leben dazu, ist von Geburt an sozusagen „vorprogrammiert“. Und gleichzeitig ist der Tod kein Ende, sondern nur das Ende des irdischen Lebens. Auch im Tod selbst steckt ein Neuanfang. Leben und Sterben, Anfang und Ende, Geburt und Tod – beides ist wichtig. Beides gehört zusammen.
Der November ist ein stiller Monat. Er beginnt mit Allerheiligen, dem stillen Feiertag der katholischen Kirche, gefolgt von Allerseelen, und endet mit dem Ewigkeitssonntag, der immer zwischen dem 20. und 26. November liegt. Der November ist die Zeit der Besinnung, der Einkehr, des Totengedenkens – also das genaue Gegenteil der Advents- und Weihnachtszeit. Das ist vielleicht weniger fröhlich und nicht immer angenehm – aber ich finde es wichtig.
Und ohne jetzt auf die Frage zu kommen, weshalb Allerheiligen gefühlt deutlich mehr Menschen ein Begriff ist und „geachtet“ wird als der Ewigkeitssonntag (Allerheiligen bedeutet einen freien Tag, häufig in der Woche), möchte ich noch einmal auf den Advent als Zeit der Vorfreude zurückkommen: Alles hat seine Zeit. Ist denn nicht die Advents- und Weihnachtszeit auch deswegen so schön, weil sie so besonders ist? Und ist sie nicht besonders, weil sie eben auf einen gewissen Zeitraum beschränkt ist? Vier Wochen im Jahr, die zu einem der größten, wichtigsten, schönsten Feste hinführen, vier Wochen, gefüllt mit Dingen, die es eben nur in dieser Zeit gibt oder die man in den anderen 48 Wochen des Jahres eben nicht tut: gemeinsame Zeit, Plätzchenbacken, Geschenke kaufen, Familienzusammenkünfte, Weihnachtsmarktbesuche undundund… Ist nicht auch die Vorfreude auf diese vier Wochen schon schön und besonders und wird die nicht geschmälert, wird Advent nicht irgendwie normal, wenn ich ihn schon Wochen vorher einläute?
In den angelsächsischen Kulturen ist das tatsächlich anders und das ist eines der Dinge, die ich an britischen Eigenarten nicht verstehe und nicht mag: Da beginnt Weihnachten sehr häufig tatsächlich in dem Moment, wo Halloween bzw. Thanksgiving (in den USA) vorbei sind. Das eine Fest vorbei, das nächste beginnt. Kürbisse und Truthahn vom Tisch, Weihnachtsbeleuchtung raus, Weihnachtsmusik an, Baum aufgestellt, los geht’s. Nix mit langsam beginnender, sich aufbauender Vorfreude. Aber dort wird ja auch am zweiten Feiertag schon wieder fleißig eingekauft bzw. Geschenke umgetauscht.
Ich will nicht von der Kommerzialisierung eines christlichen Festes anfangen. Und überhaupt, natürlich soll und darf jeder Advent und Weihnachten so feiern, wie er mag. Aber manchmal denke ich schon, ein wenig Rückbesinnung auf das, worum es eigentlich ursprünglich mal ging geht, wäre an der ein oder anderen Stelle vielleicht gar nicht so verkehrt.
Alles hat seine Zeit. Advent ist im Dezember. Auch Vorfreude hat doch nur eine begrenzte Lebensdauer. Wenn ich mit den Vorbereitungen für Weihnachten schon Mitte November anfange, „hält“ die Vorfreude dann überhaupt bis zum Heiligen Abend? Der Termin- und andere Stress, der in der Adventszeit oft entsteht, weil jeder Verein, jede Gruppe plötzlich noch eine Weihnachtsfeier veranstalten muss, und auf der Arbeit gibt es auch eine, Geschenke müssen noch gekauft, das Essen geplant, Plätzchen gebacken, Weihnachtskarten geschrieben werden – der wird doch auch nicht geringer, wenn die Adventszeit länger ist, oder? Dann fielen einem vermutlich einfach noch mehr Dinge ein, die man dringend noch vor dem 24. Dezember erledigt haben muss.
Alles hat seine Zeit. In dem Sinne: Jetzt ist Advent. Und ich hoffe, ihr alle macht ihn euch schön. Ob mit Regen oder Schnee, mit selbstgebackenen oder selbstgekauften Plätzchen, mit klassischer Weihnachtsmusik oder Pop, allein oder mit Familie – habt es schön und gemütlich und freut euch auf Weihnachten. Ich habe heute drei Sorten Plätzchen gebacken, einen Schneespaziergang gemacht und einen wunderschönen, adventlichen Sonntag mit meiner Familie verbracht. Aufgrund diverser Termine wird es wohl der einzige bleiben bis Weihnachten, den ich so richtig erleben und ausfüllen kann. Daher habe ich ihn umso mehr genossen. Jetzt. Im Advent. Im Dezember.