In kirchlichen und theologischen Kreisen dreht sich schon seit längerer Zeit vieles um das Schlagwort #digitaleKirche. Ich verfolge das durchaus interessiert, fühle mich aber häufig nicht angesprochen oder zugehörig bei Themen, die dort diskutiert werden. Dabei bin ich kirchennah, arbeite ja sogar für Kirche, und bin interessiert an digitaler Kommunikation. Die Debatten, die unter #digitaleKirche geführt werden, sind mir dennoch gelegentlich ‚zu hoch‘, zu weit weg von mir, meiner Arbeit und/oder meinen Interessen als Kirchenmitglied. Kürzlich veröffentlichte dann juhopma einen Artikel über digitalisierte Gemeinden und mir wurde ein Stück weit klarer, woher mein Fremdeln mit der digitalen Kirche rührt.
„Digitalisierte Gemeinden kommen bei der Diskussion über digitale Kirche viel zu kurz“, schreibt er, und meint damit „normale“ Ortsgemeinden, die sich im analogen wie im digitalen Teil der Welt bewegen. Bei digitaler Kirche geht es (für mein Gefühl) oft gleich um die ganz großen Würfe – und die sind auch wichtig, keine Frage. Aber in einer Welt, in der sich über alle Lebensbereiche hinweg immer mehr im Digitalen abspielt, darf auch das Kleine, darf der Alltag nicht vergessen gehen. Und Alltag in Kirche sind nun einmal die Ortsgemeinden.
Unter dem Titel „9 Merkmale einer digitalisierten Gemeinde“ listet Jonas Goebel viele Punkte auf, die mir aus der Seele sprechen. Von einer Fachkraft für Öffentlichkeitsarbeit, die für ihre Arbeit bezahlt wird, bis hin zum digitalen Mehrwert ist da vieles dabei, was ich für sinnvoll und nachahmenswert-vorbildlich halte. Durch meine Beschäftigung mit Öffentlichkeitsarbeit von Kirchengemeinden im Rahmen meiner Masterarbeit weiß ich, dass Öffentlichkeitsarbeit ganz allgemein, schon im altbekannten analogen Bereich, für viele Gemeinden eine Herausforderung darstellt: Ressourcen wie Zeit, Personal, Geld fehlen häufig. Da wird in manchen Gemeinden schon die regelmäßige Erstellung (und Verteilung) eines Gemeindebriefes zu einer nur schwierig zu lösenden Aufgabe. Vor den (scheinbar) noch arbeitsintensiveren und ‚größeren‘ Aufgaben wie der Erstellung und Pflege einer Homepage mal ganz abgesehen. Dazu kommt, dass oft auch Wissen und Knowhow fehlen, wenn es um Arbeit im digitalen Bereich geht. Eine Gemeinde mit digitalen Spendenmöglichkeiten, einem Newsletter und mp3-Predigten würde ich da ganz klar als Vorreiter bezeichnen.
In einem Punkt aber bin ich deutlich anderer Meinung: Eine digitalisierte Gemeinde müsse oder sollte nicht in den sozialen Medien aktiv sein, stattdessen ihre Mitarbeiter oder auch aktiven Gemeindeglieder, schreibt Jonas Goebel. Das sehe ich anders. Vielleicht wenig verwunderlich, schließlich betreibe ich seit bald vier Jahren einen Facebook- und seit etwas kürzerer Zeit auch einen Instagram-Account für meine Heimatgemeinde. Seit dem Umzug nach Dortmund sogar über 100 Kilometer Entfernung hinweg – das ist nicht immer ganz einfach, aber ich glaube, es gelingt mir und uns dennoch, unsere Gemeinde auf ansprechende Weise in den sozialen Medien abzubilden. (Was nicht heißen soll, dass ich glaube, wir würden alles richtig machen oder dass es nicht auch anders und bestimmt auch besser ginge.)
Warum Social Media für Gemeinden?
Eine Homepage ist gut und schön und natürlich absolut notwendig. Sie muss aber immer aktiv aufgerufen/besucht werden. In den sozialen Medien bewegen sich viele Menschen sowieso und regelmäßig – 38 Millionen aktive Social Media-Nutzer gab es zu Beginn des Jahres 2019 in Deutschland. Sie verbringen im Durchschnitt rund eine Stunde täglich in den sozialen Medien. Nach wie vor liegt Facebook (nach YouTube und WhatsApp) dabei weit vorne: 63 Prozent der Internetnutzer sind nach eigenen Angaben auf Facebook aktiv. Auf Instagram sind es 33 Prozent, auf Twitter 19 Prozent (Zahlen: Hootsuite/We Are Social Digital Report 2019). Unter diesen Menschen sind garantiert auch viele aus meiner Kirchengemeinde. Wenn ich sie dort dazu bringe, meinen Account zu abonnieren bzw. mir zu folgen, bekommen sie meine Mitteilungen quasi frei ins Haus. Zusätzliche Reichweite gewinne ich, wenn Nutzer meine Beiträge teilen und dadurch auch Nutzer, die mir (noch) nicht folgen, meine Posts angezeigt bekommen.
Menschen folgen Menschen, so begründet Jonas Goebel, weshalb seine Gemeinde nicht in den sozialen Medien präsent ist und stattdessen er selbst Social Media nutzt. Das ist sicher richtig. Aber nicht jeder Pfarrer hat Zeit oder Lust, selbst Social Media zu machen, dort berufliche, aber auch private Einblicke zu gewähren. Und meiner Meinung nach sollten auch die Accounts einer Kirchengemeinde Menschen zeigen – nicht nur ästhetisch schöne, aber langweilige Bilder einer leeren Kirche, sondern das bunte Gemeindeleben. Die Helfer, die jedes Jahr aufs Neue den Adventskranz binden. Die Konfi-Mitarbeiter, die für einen guten Zweck Kekse backen und nach dem Gottesdienst verkaufen. Den Familienkreis, der den Kirchturm besteigt.
Nicht zuletzt: Um (m)einem Pfarrer auf Facebook zu folgen, muss ich ihn bzw. seinen Namen schon kennen. Den Account der Kirchengemeinde finde ich auch mit einer Suche nach ‚Kirche‘ oder ‚Gemeinde‘ plus den Ortsnamen. Und das übrigens nicht nur auf Facebook oder Instagram selbst, sondern auch bei Google. Eine Suche nach ‚Kirchenname + Ortsname‘, ‚Kirchengemeinde + Ortsname‘ oder auch einfach ‚evangelisch + Ortsname‘ fördert auf der ersten Seite der Trefferliste neben der Webseite auch meine Facebook-Seite und/oder den Instagram-Account zu Tage.
Jonas Goebel schreibt davon, analoge Signale digital übersetzen zu wollen. In diesem Sinne verstehe ich den Newsletter, für den er wirbt, als das digitale Gegenstück zum Gemeindebrief – nur schneller, günstiger und aktueller. Den halte ich für sehr sinnvoll, zumindest oder erst Recht dann, wenn man innerhalb der Gemeinde einen guten Ablauf findet, mit dem das Erstellen des Newsletters tatsächlich wenig arbeitsintensiv möglich ist und die Aktualität gesichert ist. Genau diese Abläufe ließen sich dann aber auch für die Veröffentlichung der Inhalte in sozialen Medien nutzen. Leider habe ich keine Zahlen dazu gefunden, wie viele Menschen wie häufig ihre privaten Mails überprüfen und/oder sich in ihrem Facebook-Account anmelden. Ich glaube aber, dass es für beides Abnehmer gibt. Denn natürlich sind auch immer noch genügend Menschen nicht in den sozialen Medien aktiv, haben aber ein Mail-Postfach und freuen sich über aktuelle Termine und Hinweise. Andererseits bin ich überzeugt, dass viele Menschen regelmäßiger und häufiger Facebook oder Instagram „checken“ als ihr digitales Postfach. (Zu einem Newsletter über WhatsApp sage ich an dieser Stelle nichts, denn datenschutzrechtlich ist das meines Wissens nach sehr bedenklich)*.
Lohnt sich Social Media für Gemeinden?
Die Frage nach dem Ertrag stellt sich bei jeder Maßnahme in der Öffentlichkeitsarbeit und ist vielfach schwer zu beantworten. Kommen mehr Menschen zu dem Gottesdienst mit Vorstellung des neuen Presbyteriums, wenn ich auf Facebook auf ihn hinweise? Das lässt sich im Grunde nicht ermitteln. Und ja, wie Jonas Goebel schreibt, direkte Interaktionen über die sozialen Medien sind in den meisten Fällen sehr gering, Kommentare die absolute Ausnahme.
Aber: Deutlich genauer als bei einem in der Stadt aufgehängten Plakat oder einem Ankündigungstext im Gemeindebrief kann ich immerhin die Reichweite meiner Beiträge auf Facebook und Instagram ermitteln. Zum jetzigen Zeitpunkt habe ich mit meiner Gemeinde-Seite gut 200 Abonnenten auf Facebook. Mit meinen Beiträgen in den letzten 28 Tagen habe ich (schätzungsweise) über 1000 Menschen erreicht – das heißt, sie haben einen meiner Beiträge mindestens einmal gesehen. Das heißt natürlich noch nicht, dass sie ihn auch (bis zu Ende) gelesen haben, geschweige denn, dass daraus auch eine Handlung gefolgt ist. Die meisten Beiträge bewegen sich in einem Reichweiten-Bereich zwischen 100 und 250, gelegentliche Ausreißer kommen aber auch mal auf über 800 oder, zuletzt im November, auf 3000. Dann steigen automatisch auch die Interaktions-Raten.
Und auch wenn die direkten Interaktionen, für die Social Media doch so häufig gerühmt wird, eher gering ausfallen: Die Kommentare, die ich gelegentlich bekomme, sind dann oft ganz besondere. Aussagen, von denen ich glaube, dass sie auf einem anderen Weg nicht getätigt worden wären. Der Vater, der sich nach der Konfirmation bedankt für den Gottesdienst, der gezeigt habe, „wie nah Kirche den Menschen sein kann“, und die Begleitung der Jugendlichen in der Konfirmandenzeit – ob er diese Aussage auch an der Kirchentür gegenüber der Pfarrerin getätigt hat oder sich die Mühe gemacht hat, dafür eine e-Mail zu verschicken? Ich weiß es nicht, denke aber eher nicht.
Also: Rein in die sozialen Medien?
Meine Antwort auf diese Frage lautet ganz klar: Ja.
Natürlich ist es Arbeit. Natürlich braucht man Leute, die es machen – die das nötige Wissen um die Funktionsweise der sozialen Medien haben, die Lust auf diese Aufgabe haben und Zeit sie zu erledigen. Aber gerade, wenn man es von der Person des Pfarrers löst, ist es eine Aufgabe, die theoretisch jeder tun kann oder die sich mehrere teilen können.
Ich kann gut nachvollziehen, dass es Gemeinden gibt, die sich damit schwer tun oder die schlicht keine Möglichkeit sehen, neben den zahllosen anderen Dingen, die zu erledigen sind, sich auch noch um eine regelmäßige Pflege von Facebook und Instagram zu kümmern. Ich glaube, dass es gute Absprachen und Abläufe braucht, und ich weiß, dass es selbst dann noch arbeitsintensiv und ein zusätzlicher Punkt auf der to do-Liste sein kann. Aber ich glaube eben, dass es wichtig ist, in genau diesen digitalen Räumen anwesend und auffindbar zu sein. Die Präsenz in den sozialen Medien ist nicht besser oder schlechter, nicht wichtiger oder unwichtiger als ein Newsletter oder das Plakat im Schaukasten, sondern einfach ein weiteres, neues Blatt im breiten Fächer (gemeindlicher) Öffentlichkeitsarbeit, das zu beschreiben sich lohnt..
*Datenschutzbedenken bei WhatsApp, aber Nutzung von Facebook und Instagram – wie passt das zusammen? Tatsächlich sehe ich persönlich einen Unterschied dazwischen, eine Plattform zu nutzen, auf der Millionen von Menschen von sich aus sowieso schon angemeldet sind, und dem eigenen Sammeln von Daten (Telefonnummern). Auch auf Facebook und Instagram gehe ich mit der größtmöglichen Sorgfalt vor, fordere keine Daten von Nutzern an (bspw. im Rahmen von Gewinnspielen), verlinke mein Impressum und eine Datenschutzerklärung. Mehr ist mir als Privatperson bzw. Seitenbetreiber nicht möglich. Die Entscheidung, ob man sich angesichts der geltenden Datenschutzbestimmungen und Facebooks Einstellungen dazu auf diesen Plattformen bewegen will, muss jeder/jede Institution selbst treffen.