Funkstille. Hier, bei Facebook, bei Instagram und Co (auf Twitter lasse ich mich noch gelegentlich zu kleinen Entrüstungen hinreißen)… Es gibt einfach nichts zu sehen, nichts zu zeigen, nichts zu berichten. Ich bin entweder bei der Arbeit (seit kurzem mit zwei Selbsttests pro Woche) oder zuhause. Ich gehe einmal die Woche in den Supermarkt und an ganz besonderen Tagen auch noch in die Drogerie oder auf den Markt. Ich esse, backe, putze, lese, zoome, singe, schlafe – nichts davon ist so spannend, dass es einen Blog-Beitrag oder einen Instagram-Post wert wäre.
Wenn Dortmunds neue Allgemeinverfügung morgen in Kraft tritt, ändert sich für mich dadurch nichts. Ich war seit Monaten in keinem Geschäft mehr und ob ich nun eine Maske, einen Termin und/oder einen negativen Test brauche – oder nichts davon – um eines betreten zu dürfen, ändert daran gar nichts. Ich habe meine Familie seit dem Jahreswechsel drei Mal gesehen, zu Zeitpunkten, an denen ich in den Tagen zuvor wenig Kontakte hatte, an Ostermontag mit negativem Selbsttest. Und das ist nur die Kernfamilie – Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins, Patentanten und so viele mehr, bei denen es ein Jahr und länger her ist. Meine regelmäßigsten (einzigen) Kontakte sind die Kolleginnen und Kollegen in den Büros nebenan, ab und an mal die Nachbarn, die man im Hausflur oder im Hof trifft, und die Menschen an den Supermarktkassen.
Lange habe ich gedacht, ich dürfte wohl zu der Personengruppe gehören, der die Pandemie und das „Stay at home“ am leichtesten fällt. Erst einmal kann ich grundsätzlich sowieso gut allein sein. Außerdem habe ich eine Wohnung, in der ich mich wohlfühle, einen (sicheren) Job, den ich auch von zuhause machen kann, keine Kinder, die beschult oder betreut werden wollen, keine Eltern, die gepflegt werden müssen… Ich habe technische Möglichkeiten, mit anderen in Kontakt zu bleiben oder an Veranstaltungen teilzunehmen, genug Bücher und Filme und Serien, um die Langeweile in Schach zu halten, Stricknadeln und ein Klavier.
Was ich nicht habe, sind eben andere Menschen um mich herum. Ist Abwechslung, ist (äußere) Struktur. Ich bin jemand, der eigentlich immer etwas zu tun braucht und immer auch etwas zu tun hat, aber aktuell bin ich antriebslos und kenne mich so selbst gar nicht. Ich komme nur schwer aus dem Bett (allerdings abends auch schwer/nur spät in’s Bett) und ich verbringe zu viel Zeit damit auf’s Handy zu starren, obwohl ich dort auch nichts Neues finde.
Es ist sinnvoll und ich bleibe weiter zuhause. Aber es macht mich zunehmend gleichermaßen müde wie wütend, dass das so wenig zu bringen scheint. Dass ich nicht mehr tun kann als nichts zu tun und das seit mehr als einem Jahr und die Situation trotzdem nur schlimmer wird anstatt besser, jedenfalls jetzt gerade mal wieder. Und es macht mich müde und wütend, dass diejenigen, die wirklich Ahnung davon haben, was zu tun sinnvoll sein könnte, nicht gehört werden. Und vor allem, dass diejenigen, die etwas tun könnten – nämlich Entscheidungen zu treffen und dafür zu sorgen, dass wir als Gesellschaft dieses Virus zurückdrängen, wie es zu Beginn der Pandemie war – auch nichts tun. Dass sie sich hinstellen und sagen, sie hätten noch keine besseren Vorschläge gehört. Dass sie sich hinstellen und sagen, wenn man jetzt Geschäfte schließen würde, ließen sich die Leute ja nicht mehr testen.
Das ist alles so unglaublich, dass ich dafür gar keine Worte habe, dass ich gar nicht beschreiben kann, was das mit mir macht. Vor einem Jahr um diese Zeit etwa, da hat die Politik es für eine Weile hinbekommen, alle (oder zumindest einen großen, großen Teil der) Bürgerinnen und Bürger dafür zu mobilisieren, nichts zu tun. Zuhause bleiben, Osterferien im Garten statt irgendwo im Hotel, zuhause arbeiten, zuhause lernen – es war weitgehend Konsens, dass genau das jetzt das Einzige und das Richtige und das Wichtigste ist, was wir tun können. Und es fiel einem fast leicht, vielleicht war es ja auch ein bisschen aufregend, etwas Neues, Ungewohntes; in jedem Fall fiel es deutlich leichter als jetzt. Jetzt, wo nicht in der Politik, nicht in der Wissenschaft und dann natürlich auch nicht in der Bevölkerung mehr Konsens darüber besteht, was der richtige Weg ist.
Es ist ein Jahr zuhause bleiben, ein Jahr ohne Hobbys und Freizeitaktivitäten, ein Jahr mit viel (zu viel) Zeit alleine, das müde und wütend macht. Aber viel mehr ist es, zu sehen und zu hören, dass auf der einen Seite ein Gesundheitsminister sofortiges Handeln fordert und auf der anderen Seite Modellregionen für Öffnungen bekanntgegeben werden. Dass eine Bundeskanzlerin ankündigt, keine 14 Tage tatenlos zusehen zu wollen, und dann (mehr als) zwei Wochen lang genau das macht. Zu sehen, wer und was in dieser Gesellschaft einen Wert hat und wichtig ist, und zu erleben, dass es nicht Kinder sind, nicht Jugendliche, nicht Familien, nicht Pflegekräfte und Mediziner:innen… Sondern Wirtschaftsinteressen, Unternehmen, und die Kanzlerkandidatur.
Ich habe wohl noch nie so viele Blumen gekauft wie in den letzten Wochen. Ich brauche es bunt vor meinem Fenster und in meiner Wohnung. Vielleicht brauche ich auch etwas, um das ich mich kümmern muss, ich weiß es nicht – manchmal denke ich auch, so zwei, drei Kinder, die hier herumsprängen und etwas von mir verlangten, wären auch nicht verkehrt. Wer selbst zwischen Home Office und Home Schooling jongliert, wird wahrscheinlich nur verständnislos den Kopf schütteln… Was ich nicht mehr denke: Dass es irgendjemandem leicht(er) fällt, durch diese Pandemie zu kommen. Oder dass Politiker schon wissen, was sie tun.