Nach dem mageren einen Buch im letzten Monat habe ich – dank Urlaub und seit letzter Woche fast täglicher Zugfahrten – immerhin drei Bücher geschafft. Mal wieder sind alle Drei auf Englisch und von sehr unterschiedlicher Natur.
Elizabeth George: Just One Evil Act
Hodder & Stoughton
Im September hatte ich „Believing The Lie“ gelesen, was in der inhaltlichen Chronologie und der Veröffentlichungsfolge direkt vor „Just One Evil Act“ kommt. Und wenn ich so zurückdenke, war es vielleicht der Fall aus der Lynley-Reihe, der mir am wenigsten gefallen, mich am wenigsten gefesselt hat. Bei „Just One Evil Act“ ist das völlig anders. Das Buch ist von der ersten Sekunde an spannend und auf den letzten drei Seiten ergibt sich tatsächlich noch eine Wendung, die mich fast sprichwörtlich vom Hocker gehauen hätte, weil sie so unglaublich überraschend ist.
Zum Fall: Die Tochter von Barbara Haver’s Nachbarn Taymullah Azhar und ihre Mutter, die erst vor wenigen Monaten zu ihm zurückgekommen war, sind verschwunden. Da Azhar und Angelina Upman nicht verheiratet waren und Hadiyyah mit ihrer Mutter zusammen ist, hat Azhar keinerlei Rechte. Er bemüht einen Privatdetektiv, um wenigstens herauszufinden, wo seine Tochter sich aufhält, jedoch kann auch der nichts herausfinden. Ein knappes halbes Jahr später steht Angelina mit einem neuen Freund vor Azhars Tür. Hadiyyah ist in Lucca, Italien, wo sie seit ihrem Verschwinden mit ihrem Partner und Hadiyyah lebte, entführt worden und sie verdächtigt Azhar. Die italienische Polizei nimmt die Ermittlungen auf und DI Lynley reist als sogenannter Verbindungs-Offizier und Vertreter von Scotland Yard ebenfalls nach Lucca. Havers bleibt in London und versucht auf ihre Weise die Ermittlungen voranzutreiben. Dabei bewegt sie sich nicht immer mehr auf Seiten des Gesetzes und noch viel weniger verhält sie sich korrekt als Mitglied von Scotland Yard. Die Dinge werden nicht einfacher, als neben der Entführung des Mädchens auch noch ein womöglich damit zusammenhängender Mord aufzuklären ist.
Auch bei diesem Fall sind DI Lynley und DS Havers einen großen Teil der Zeit räumlich getrennt, bewegen sich und ermitteln sogar in unterschiedlichen Ländern. Dennoch ist viel Kontakt zwischen ihnen und man merkt an einigen Stellen sehr deutlich, dass die beiden eine „gemeinsame Vergangenheit“ haben und sehr wichtig füreinander sind. Havers hat mich mit ihren Alleingängen zum Teil fast wahnsinnig gemacht, aber nicht zuletzt dank Lynley ist sie meistens doch unbeschadet wieder aus ihren Schwierigkeiten herausgekommen. „Just One Evil Act“ ist spannend und hält viele überraschende Momente bereit – und das, wo man bei Elizabeth George doch eigentlich sowieso schon auf unvorhersehbare Wendungen gefasst ist.
Tom Fletcher: The Christmasaurus
Puffin Books/Penguin Random House UK
Ein Dinosaurier-Buch, ein Weihnachts-Buch, ein Kinder-Buch: All das ist „The Christmasaurus“. Ich bin kein großer Dino-Fan, bis Weihnachten ist es noch was hin und Kind bin ich (leider) auch nicht mehr. Trotzdem hat mir das Debüt von Tom Fletcher – sieht man mal von den „The dinosaur that pooped“-Reim-Bilderbüchern ab – sehr gut gefallen.
Die Geschichte handelt von William Trundle, einem kleinen Jungen, der seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt und mit seinem Vater zusammen wohnt, der verrückt ist nach Weihnachten. Sobald Weihnachten vorbei ist, zählt er die Tage bis zum nächsten Weihnachtsfest runter, er kennt jede Weihnachtsgeschichte und jedes Weihnachtslied und weiß alles über den Nordpol und Santa. Und das Buch handelt natürlich vom Christmasaurus, einem Dinosaurier, der eines Weihnachtstages aus einem Ei schlüpft, das die Weihnachtselfen beim Buddeln unter dem Eis gefunden haben, und der bei Santa, den Elfen und den magischen fliegenden Rentieren am Nordpol aufwächst. Durch eine Verkettung verschiedener Umstände landet der Christmasaurus (im wahrsten Sinne des Wortes) bei William. Die beiden werden Freunde und erleben eine magische Weihnachtsnacht zusammen.
Das Buch lebt von den tollen Illustrationen von Shane Devries und von der wunderbaren Sprache Tom Fletchers, die mich bereits bei dem zugegebenermaßen ziemlich sinnfreien „The Dinosaur that pooped Christmas“ begeistert hat. „He [Santa] hat every toy.making contraption that had ever existed, and a few that didn’t exist too! Long stuffing sticks for stuffing things, bendywendy things for bendywending things, flappyhappy things for making happyflappy things. You name it, Santa had it … and if you can’t name it he probably had that too.“ Man merkt auf jeder Seite, dass Fletcher selbst ein großer Dino- und Weihnachts-Fan ist und die sehr lebendige Sprache macht es sehr einfach, sich all die wunderbaren, weihnachtlich-magischen Dinge vorzustellen, die Fletcher beschreibt: Wie Santa aussieht, wie es am Nordpol zugeht, wo die Geschenke herkommen und wie Santa sie auf seinem Schlitten ausliefert. In eine andere Welt eintauchen, das ist in wenigen Büchern so einfach wie mit dem „Christmasaurus“.
Vornehmlich ist das Buch natürlich an junge Leser gerichtet und verbindet es die Geschichte von William und dem Christmasaurus mit Themen wie Freundschaft, Liebe und der Botschaft, dass alles möglich ist, wenn man nur daran glaubt:
„There was a special reason why the reindeer could fly, and it wasn’t in their food or their drink. […] There was a deeper magic at work, and it was the strongest, oldest kind of magic that exists. All around the world there are millions of children, just like you, who all know about Santa’s flying reindeer. They don’t just think Santa’s reindeer can fly. Those millions of children believe that Santa’s reindeer can fly. They believe beyond any shadow of doubt, and belief is the most powerful magic there is. Believing is the only magic that makes the utterly impossible completely possible, and the undoubtedly undoable undeniably doable! And of all the different kinds of belief there are the belief of a child is by far the most unbelievably unstoppable.“
Das Buch ist sicherlich hervorragend auch als Schullektüre geeignet und aufgrund der sehr einfach gehaltenen Sprache auch für Kinder, deren Muttersprache nicht Englisch ist, als das erste englische Buch. Aber auch alle großen Kinder und Erwachsene, die eine weihnachtlich-magische Geschichte lesen möchten, ist „The Christmasaurus“ sehr zu empfehlen.
Alice Munro: Runaway
Vintage/Random House
„Runaway“ habe ich bereits vor einiger Jahren geschenkt bekommen, bin aber aufgrund meines riesigen Stapels ungelesener Bücher (der bei mir gar kein Stapel ist), noch nicht dazu gekommen es zu lesen. Weil es ein handliches, dünnes Taschenbuch ist, durfte es mich in den letzten Wochen nach Münster begleiten. Die Autorin, Alice Munro, war mir unbekannt und das war wahrscheinlich auch gut so. Auf der Rückseite des Buches steht nicht viel zum Inhalt: „Here are men and women of wildly different times and circumstances, their lives made vividly palpable by the nuance and empathy of Munro’s writing“. Klang gar nicht so schlecht. Erst beim Lesen des Vorworts (in Kapitellänge) von Jonathan Franzen ging mir dann auf, dass es sich bei „Runaway“ nicht um einen Roman, sondern ein Buch mit Kurzgeschichten handelt. Hätte ich das vorher gewusst, hätte das Buch sehr wahrscheinlich noch länger unbeachtet und ungelesen in meinem Regal gestanden.
Kurzgeschichten kennt man aus der Schule, natürlich, und mir haben sie nie wirklich zugesagt. Langweilig erzählt oder zu viel Information auf zu wenig Seiten, belanglose Themen oder die gesamte Lebensgeschichte plus psychologische in-depth-Analyse der Charaktere innerhalb einer Stunde. Vielleicht liest man in der Schule aber auch einfach nur die falschen Kurzgeschichten. Bei Munro hatte ich nie das Gefühl von zu wenig oder zu viel. Schon nach den ersten paar Seitene jeder Geschichte hatte ich das Gefühl, die Personen oder zumindest den Hauptcharakter besser zu kennen als in manchen Romanen nach 200 Seiten.
Die Geschichten handeln alle von demselben Thema, das in immer neuen Variationen erzählt wird. Es geht um die Tochter, in der Schule immer eher Typ Außenseiter, die nach Erreichen der Volljährigkeit ihr Zuhause verlässt, weil sie Neues sucht und/oder sich verliebt. Sie baut sich ein neues Leben in einem anderen Teil Kanadas (Munro ist Kanadierin und beschreibt in ihren Geschichten sehr detailreich auch die verschiedenen Gegenden und Landschaften) auf, findet einen Job oder gründet eine Familie. Aber es ist kein Happy End, kein ‚Friede, Freude, Eierkuchen‘, ihr Leben verläuft nicht friedlich in geraden Bahnen. Denn wessen Leben tut das schon? Es geht um (erwachsene ) Kinder, die ohne ein Wort des Abschieds das Elternhaus verlassen und sich nie wieder melden. Zerbrochene Ehen, betrügende Partner, Liebe, Schmerz und Verzweiflung. Das alltägliche Leben wird bei Munro wahnsinnig spannend, sie erzählt großartig und fesselnd und spannend: Erst am Ende einer jeden Geschichte wird klar, welche Handlungen welche Folgen ausgelöst haben, was sich warum wie gefügt hat und wie die Geschichte wirklich endet.
„Runaway“ ist sehr unterhaltend. Die Geschichten sind zwischen 33 und 45 Seiten lang, drei der Geschichten hängen zusammen, wobei sie in sich abgeschlossen sind und jede auch für sich stehend verstanden werden kann. Das Buch hat mir die Zugfahrten erheblich verkürzt, auch wenn man es während des Lesens nur ungern aus der Hand legen möchte. Auf jeden Fall hat es meine Meinung über (oder meine Vorurteile gegenüber) Kurzgeschichten erheblich revidiert.