Es ist Anfang Mai und deswegen präsentiere ich hier heute meine Lektüre des letzten Monats. Zwei sehr verschiedene Bücher sind es mal wieder, wobei ich das eine sehr früh im Monat beendet und parallel zu dem zweiten und dem aus dem März gelesen habe, und das andere ein neuer Roman meiner absoluten Lieblings-Autorin ist. Aber genug der kryptischen Einführung.
Wilfried Härle: „… und hätten ihn gern gefunden“. Gott auf der Spur.
Evangelische Verlagsanstalt Leipzig
Dieses Buch habe ich zu Weihnachten bekommen – ein überraschendes Geschenk und mal was völlig anderes. Meistens sind es ja doch Romane, die einem geschenkt werden (nicht, dass ich daran etwas auszusetzen hätte), und ich weiß nicht, ob man dieses Buch jedem einfach so in die Hand drücken kann oder ob der ein oder andere sich nicht vielleicht auf den Schlips getreten oder brüskiert oder bedrängt fühlen könnte, wenn er ein Buch bekommt, das den Anspruch hat, „gängige Einwände gegen den Gottesglauben und […] Wege zu ihrer Überwindung“ aufzuzeigen. Aber es passte, zum Schenkenden und zu mir, und ich habe mich sehr gefreut und war sehr gespannt auf dieses Buch.
Vielleicht sollte ich dazu sagen – vielleicht habe ich das hier auf dem Blog auch schon einmal gesagt – dass ich gar nicht so genau in Worte fassen kann, ob ich religiös oder gläubig bin. Fest steht, dass ich damit aufgewachsen bin, dass meine Familie und auch ich ganz persönlich sehr fest verwurzelt sind in unserer Kirchengemeinde, dass ich mich dort immer heimisch gefühlt habe und fühle, dort Gemeinschaft erfahre, mich einbringe, dass ich zwar nicht jede Woche, aber doch deutlich häufiger als zu Weihnachten und Ostern den Gottesdienst besuche, dass ich getauft und konfirmiert bin, dass ich um christliche und evangelische Grundsätze weiß. Und dass ich vielleicht gerne etwas mehr glauben würde. Ich glaube schon, dass ich irgendwie glaube – aber es fällt mir schwer, das irgendwie genauer zu definieren. Es zu artikulieren. Es würde mir schwer fallen, meinen Glauben jemandem zu erklären – weil ich grundsätzlich nicht besonders gut im Argumentieren und Diskutieren bin, aber auch, weil ich für mich selbst nicht ganz klar habe, was mein Glaube ist und was er für mich bedeutet.
Ich weiß nicht, ob dem Schenkenden das bewusst war, auf jeden Fall traf dieses Buch deswegen aber genau in’s Schwarze. Natürlich ist es keine Anleitung zum Glauben, so etwas kann es gar nicht geben. Und auch nach der Lektüre habe ich jetzt nicht auf einmal alle Antworten gefunden – schon allein deswegen nicht, weil ich gar nicht genau weiß, welche Antworten ich eigentlich suche. Aber dieses Buch hat mir neue Eindrücke verschafft, neue Perspektiven beleuchtet, mir Dinge aufgezeigt, die ich noch nicht kannte oder derer ich mir vorher nicht bewusst war. Es hat mich zum Nachdenken angeregt, zur Reflektion, über Religion, über den Glauben, über meinen Glauben.
Der Autor, Wilfried Härle, ist emeritierter Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Uni Heidelberg – und naja, an manchen Stellen merkt man das ein wenig. Da fand ich persönlich jedenfalls das Geschriebene sehr professorenhaft, ein wenig so, als hätte er das Wissen und müsste dem Leser dieses möglichst einfach darlegen. Das war aber nur manchmal so und letztlich ist das ja genau das Anliegen des Buches: Es soll eine „Hilfestellung bei der Suche nach Gott im Sinne des persönlichen Glaubens an Gott“ bieten. Härle benennt Einwände oder Probleme, die Menschen haben können mit dem Glauben, Dinge wie das Verhältnis von Glaube und Wissen oder Vernunft zueinander, den Sinn der Welt, das Leiden und das Böse in der Welt („wie kann ein Gott, der Gott der Liebe, so etwas zulassen?“), das Gottesbild (das Bild vom lieben Gott, der auf einer Wolke im Himmel sitzt und auf die Erde herabschaut, habe auch ich als Kind gehabt, aber irgendwann funktioniert das eben nicht mehr) und viele mehr.
In 19 Kapiteln widmet er sich dann diesen Problemen, diesen Barrieren, und macht deutlich, dass diese gar nicht so unüberwindbar scheinen, wie man vielleicht denkt. Der Gegensatz zwischen Glauben und Wissen existiert eigentlich gar nicht, denn endgültig bewiesen werden kann etwas niemals. Wissen und Wissenschaft basiert auf Voraussetzungen, auf Annahmen, derer man gewiss sein muss, an die man glauben muss. Die Unvereinbarkeit von der Evolution der Welt und der Schöpfungsgeschichte? Die Naturwissenschaften fragen danach oder erklären das Wie der Entwicklung der Welt; Gottes schöpferisches Wirken gibt der Welt einen Ursprung, ein Ziel, einen Sinn. Die Schöpfung Gottes geschieht (nach heutigem Stand der Wissenschaft) „durch Urknall und Evolution“. Wie kann man sich die Dreieinigkeit Gottes vorstellen? Was ist Gottes Wesen? Welchen Sinn hatte der Tod Jesu am Kreuz, wie soll darin erkennbar sein, dass Gott die Welt und die Menschen liebt und versühnt?
Härle gibt nicht die allgemeingültigen Antworten und in Bezug auf das Theodizeeproblem (warum gibt es das Übel in der Welt?) ist seine Antwort dann vielleicht besonders unbefriedigend, denn letztlich bleibt einem nicht viel mehr, als zu glauben, auf Gott zu vertrauen und zu hoffen, dass in der Ewigkeit Gottes die Antwort zu finden ist, warum ein liebender und gütiger Gott Böses und Schlechtes auf der Welt zulässt. Aber er gibt Einsichten, die einem vielleicht vorher nicht bekannt waren. Er arbeitet mit Verweisen auf Bibelstellen, die ich zum Teil direkt nachgeschlagen habe, wenn er sie nicht gleich selbst zitiert hat. Er beseitigt Barrieren, sagt aber auch, dass man Gott nicht finden kann. Es ist Gott, der den Menschen findet. Dieser muss sich darauf einlassen können und dabei hilft dieses Buch. Vielleicht. Mir auf jeden Fall, denn einiges ist mir deutlicher geworden nach der Lektüre – genauso haben sich neue Fragen aufgetan. Glaube ist nichts, was irgendwann einfach da ist und dann für immer bleibt, sondern er wandelt sich, verändert sich – wie jede (gute) Beziehung braucht auch die Beziehung zu Gott gelegentlich etwas ‚Arbeit‘. Die Lektüre dieses Buches ist vielleicht gelegentlich Arbeit – aber sie lohnt sich.
Rebecca Gablé: Die fremde Königin
Bastei Lübbe
Ein neuer Roman von Rebecca Gablé! Ihre Waringham-Reihe zählt zu meinen absoluten Lieblingsbüchern, wie mittlerweile allgemein bekannt sein dürfte. Als 2013 dann „Das Haupt der Welt“ erschien, war ich anfänglich ein wenig skeptisch: Deutsche Geschichte, 10. Jahrhundert, König Heinrich I. und Otto I. (der Große) – das waren jetzt nicht unbedingt meine Lieblingsthemen, wo ich doch die englische Geschichte so viel lieber mag. Aber natürlich bin ich eines Besseren belehrt worden und habe „Das Haupt der Welt“ schließlich sehr gerne gelesen und unheimlich viel dabei über das Deutsche Reich vor über tausend Jahren gelernt.
Die Fortsetzung „Die fremde Königin“ ist im letzten Jahr erschienen und ich habe es im Dezember zum Geburtstag bekommen und war – nach meiner Vorerfahrung – nun überhaupt nicht mehr skeptisch, sondern gleich sehr vorfreudig. Und auch hier wurde ich nicht enttäuscht. Soweit ich weiß bzw. mich erinnere, sind diese beiden Romane (ob daraus wohl auch eine noch längere Reihe wird?) die ersten von Gablé, die „nur“ 10 Jahre trennen bzw. in denen jeweils derselbe König auf dem Thron sitzt. Nun ist mir König Otto, obwohl er in beiden Romanen eine prominente Rolle spielt, nicht sonderlich sympathisch. Auch Adelheid, seine zweite Königin und Hauptfigur in diesem Roman, war mir nicht besonders nahe – obwohl ich anerkenne, dass sie, erst Recht für die damalige Zeit, eine außergewöhnliche Frau und Königin war.
Die andere, für mich die größte, Hauptfigur in „Die fremde Königin“, ist Gaidemar. Ein Bastard, zu Beginn des Romans ausgesandt, um Adelheid und ihre Tochter aus dem Kerker von Berengar von Ivrea zu befreien, der sie, die italienische Königin, nach dem plötzlichen und frühen Tod ihres Gemahls dort eingesperrt hatte. Dem Panzerreiter gelingt dies, er bringt Adelheid sicher zu König Otto, die beiden heiraten – und „zum Dank“ wird Gaidemar von Ottos Bruder Henning eines Verbrechens beschuldigt, das er nicht begangen hat, aus seiner Legion entlassen und vom Hofe verbannt. Doch obwohl er ein Bastard ist, der seine Eltern nie gekannt hat und in Saalfeld mit sechs Ziehgeschwistern aufgewachsen ist, die ihm unterschiedlich wohl gesonnen waren, und obwohl er ganz sicher nicht darauf aus war, ausgerechnet am königlichen Hof Freunde zu finden, passiert genau das. Denn es ist nicht zu übersehen, dass er mit dem König verwandt ist und dessen ältester Sohn Wilhelm, ein Bastard wie Gaidemar selbst mit einer slawischen Mutter (Dragomira aus „Das Haupt der Welt“), hat nach der Rettung Adelheids eine weitere Aufgabe für ihn und Gaidemar schließt sich Prinz Liudolfs Gesellschaft an, um diesen in Wilhelms Auftrag zu versuchen im Zaum zu halten.
Gaidemar nun ist die Hauptfigur, die ich mag, für den ich mitfühle und mitfiebere. Vielleicht ist das, weil er mich so häufig an Robin aus „Das Lächeln der Fortuna“ erinnert. Er hat nichts, keine Herkunft, keine Familie (auch wenn er später zunächst erfährt, wer sein Vater und noch später, wer seine Mutter war), keinen Namen, nichts außer seinem Leben als Panzerreiter, seinem Pferd, seinem Schwert. Aber er ist ehrlich, bescheiden, loyal. Er tut, was getan werden muss, er stellt sich selbst hinten an, er bringt sich gelegentlich (oder auch häufiger) in Schwierigkeiten, weil er mit höfischem „Small-Talk“ wenig anfangen kann und lieber frei heraus redet. Er macht sich langsam, aber sicher unentbehrlich und er findet in Wilhelm einen guten Freund und Förderer, der ihm später eine eigene Legion Panzerreiter anvertraut, die zum historischen Sieg im Kampf gegen die Ungarn auf dem Lechfeld beitragen. Und irgendwann bemerkt das auch der König, der Gaidemar gegenüber lange Jahre über zunächst sehr reserviert war, und als Otto schließlich zum Kaiser gekrönt wird, bekommt auch Gaidemar die Anerkennung, die ihm zusteht, und außerdem Liebe und eine eigene kleine Familie.
Wie bisher noch jeden Roman von Rebecca Gablé konnte ich auch diesen kaum aus der Hand legen und zum ersten Mal seit langer Zeit habe ich, anstatt abends noch am Computer zu sitzen oder Serien zu schauen, jeden Abend viele (der 755) Seiten gelesen – und war dann traurig, als ich am Ende angekommen war. Das Nachwort, in dem Gablé wie gewohnt kurz erklärt, welche der Personen und Ereignisse im Roman der Wahrheit und welche der Fiktion angehören, barg dann noch eine besondere „Überraschung“: Nämlich das Eingeständnis, dass sie den Roman vielleicht nicht geschrieben hätte, hätte sie um das politische Klima in Deutschland gewusst, in dem er erscheinen würde. Dass Otto der Große von Nazis und nationalistischen Eiferern ‚verehrt‘ und als Symbol für angebliche deutsche Überlegenheit missbraucht wird, war mir neu. Ich bin allerdings sehr sicher, dass solche Otto-Liebhaber an diesem Roman (und auch am „Haupt der Welt“) nur wenig Freude hätten, denn wie immer in Gablés Romanen wird auch hier nichts verklärt oder überhöht. Ja, Otto hat das Reich erweitert, hat die Ungarn besiegt, die Slawen (teilweise) befriedigt, wurde zum Kaiser gekrönt – doch es wird sehr deutlich, dass dies nicht aus dem Gefühl oder Bewusstsein einer ‚völkischen Überlegenheit‘ geschah, sondern dass Otto von dem Gedanken geleitet wurde, Gottes Diener auf Erden zu sein, den Menschen die göttliche Gnade zu offenbaren, ihnen zu helfen und ihnen Trost und Hoffnung zu spenden.
„Die fremde Königin“ ist ein weiterer Roman von Rebecca Gablé, der es ebenso wie alle anderen schafft, Unterhaltung und Historie wunderbar zu verbinden, der einen in seinen Bann zieht und in die Geschichte hineinzieht und nicht mehr loslässt, bis man nach der letzten Seite doch leider wieder auftauchen muss.