Besser spät als nie – oder? Mit großer Verspätung und ohne große Worte möchte ich darum an dieser Stelle noch meine November-Lektüre nachreichen. Nur ein Buch, weil mich Ende November dann diverse Adventsvorbereitungen ziemlich in Atem hielten und mir die Lesezeit raubten.
Elizabeth George: Well-Schooled in Murder
Bantam Books
So deutlich wie in diesem Buch, dem dritten Band der Reihe, ist die kaum miteinander zu vergleichende Herkunft von Lynley und Havers noch nie aufeinander geprallt. Klassenkampf, quasi. Denn dieser Fall dreht sich um einen Schüler von Bredgar Chambers, einem Internat, das zu 99 Prozent von gut betuchten Jungen und Mädchen der Oberschicht besucht wird, deren Väter und Großväter und Urgroßväter… und so weiter auch schon diese Schule besucht haben. Eine Schule also, wie Lynley als ehemaliger Eton-Schüler, sie kennt. Genau deshalb ermittelt er hier auch: Denn ein ehemaliger Schulfreund von ihm, nun housemaster in Bredgar Chambers, kommt zu ihm und bittet ihn um diskrete Hilfe: Einer der Schüler aus seinem Haus, Matthew Whateley, ist verschwunden.
Doch kurze Zeit wird in einem nahegelegenen Dorf eine Jungenleiche gefunden – ausgerechnet von Deborah St. James – und mit „diskret“ ist es damit vorbei. Lynley und Havers übernehmen die Ermittlungen – auch wenn Havers sich fühlt wie ein ‚fish out of water‘. Nicht nur ist sie auf eine öffentliche Schule gegangen, sie hält auch nichts davon, junge Kinder entfernt von ihren Eltern aufwachsen zu lassen und natürlich ist sie nicht im Bilde über die Werte, die an Schulen wie Bredgar Chambers hochgehalten werden: Ehre und Loyalität stehen hier über allem. Führen sie auch zum Tod?
Es ist immer wieder sehr amüsant zu lesen, wie Lynley und Havers aneinander geraten, wie sie beide nicht aus ihrer Haut können, wie sie immer wieder Gräben des Unverständnisses zu überwinden haben. Lynley hat einen Wissensvorsprung dank eigener Erfahrungen, doch Havers‘ Nichtwissen erlaubt ihr oftmals den klareren Blick. Nicht zuletzt, weil auch Matthew Whateley in Bredgar Chambers ein ‚fish out of water‘ war – der Junge, der aus einer Arbeiterfamilie stammt und nur dank eines Stipendiums die Schule besuchen kann, scheint nicht viele Freunde gehabt und sich nur schwer in das Schulleben eingefügt zu haben.
Daneben ist aber natürlich auch immer noch das Privatleben der Detectives: Lynley trauert Helen Clyde hinterher, die sich nach dem letzten Fall, in dem sie eine der Hauptverdächtigen war und der tiefe Risse zwischen ihr und Lynley hinterlassen hat, nach Griechenland abgesetzt hat – ohne genaues Datum einer Rückkehr. Und Havers muss ihren Job und die Pflege ihrer zunehmend dementen Mutter und ihres lungenkranken Vaters unter einen Hut bekommen.
Dieser Fall zeigt die Unterschiede in Herkunft, Klassenzugehörigkeit und Überzeugung von Lynley und Havers deutlich auf – es wird aber genauso klar, dass sie, weil sie es mittlerweile schaffen, diese Unterschiede nicht zwischen sich geraten zu lassen, genau deswegen ein äußerst erfolgreiches Team abgeben. Und der Schauplatz des Falls wird von George so wunderbar beschrieben, dass man sich ganz genau hineinversetzen kann: In Matthew Whateley, in John Corntel, den housemaster, in die Vertrauensschüler und Schulsprecher, in das Wertegerüst, das eine Schule wie Bredgar Chambers trägt. Wunderbar englisch und wie immer sehr, sehr spannend.
Dasselbe kann man leider, wie ich an anderer Stelle bereits einmal angedeutet habe, von den Verfilmungen der Krimis nicht behaupten: Darin wurde so viel geändert – angefangen bei der Haarfarbe Lynleys und der Automarke, die er fährt, bis hin zu ganzen Handlungssträngen und dem Tathergang. Das mag funktionieren, wenn man die Filme schaut, ohne die Buchvorlage zu kennen, aber wenn man den Film guckt, nachdem man das Buch gelesen hat, kann man nicht anders als enttäuscht sein.